Im zweiten Teil unserer Länderserie blicken wir in den Südwesten. Auf vier Exzellenzunis, aber auch einen breiten „wissenschaftlichen Mittelstand“ ist man hier stolz. Schließlich braucht es nicht nur Spitzenforschung und Innovation, sondern auch Fachkräfte für die Hidden Champions auf dem Land.
Von Markus Weisskopf, Table Media vom 19. Oktober 2023
Die ganz großen Zentren fehlen in Baden-Württemberg. Ballungsräume wie Berlin oder München mit Millionen von Einwohnern und entsprechend vielen Hochschulen und Forschungseinrichtungen gibt es nicht. Für den Leuchtturmwettbewerb Start-up-Factories des BMWK etwa haben sich Stuttgart, Karlsruhe, Ulm und Heidelberg als Cluster zusammengetan.
Und nicht nur im Transfer, auch in der Spitzenforschung geht man auf die Nachbarn zu. Sinnbildlich dafür steht das Cybervalley Stuttgart-Tübingen. Innovationscampus nennt das Ministerium diesen Ansatz. Weitere Campus gibt es zu Quanten, Mobilität und Lebenswissenschaften. Nur so glaubt man, im internationalen Wettbewerb um die besten Forschungsköpfe bestehen zu können.
Zugleich legt man großen Wert auf die Möglichkeit einer praxisnahen Ausbildung, die Duale Hochschule und die vielen HAWs. Viele technologieorientierte Mittelständler im Südwesten benötigen gerade im infrastrukturschwachen ländlichen Raum die dort ausgebildeten Fachkräfte.
Um konkurrenzfähig zu bleiben, stellt sich Wissenschaftsministerin Petra Olschowski (Grüne) auch schon mal gegen ihre eigene Partei. Die von der EU-Kommission geplanten Lockerungen für den Einsatz sogenannter Neuer Genomischer Verfahren (NGT) in der Landwirtschaft nannte sie eine „zentrale Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit unserer europäischen Forschung“. In den vergangenen Jahren sei es offenbar nicht gelungen, die Fortschritte der Forschung und damit einhergehende Chancen in die Breite der Bevölkerung zu kommunizieren.
Fünf Fragen an Petra Olschowski
Was macht Ihr Bundesland bei Forschung und Innovation besonders gut?
Baden-Württemberg steht mit einem Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung von 5,64 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf Platz 1 im innerdeutschen Vergleich und gehört seit vielen Jahren zur europäischen Spitzengruppe. Dieses Engagement zahlt sich aus: Das Institut für Wirtschaft in Köln hat gerade in einer Studie bestätigt, dass Baden-Württemberg im Bereich Innovation und Forschung international zur Spitze gehört – Rang 3 nach Massachusetts und Kalifornien. Mit vier von bundesweit zehn Exzellenzuniversitäten sind wir auch hier das erfolgreichste Bundesland. Aber das bedeutet keinesfalls, dass wir uns ausruhen können oder wollen in einem höchst dynamischen Umfeld.
Digitalisierung und Künstliche Intelligenz, der Wandel der Mobilität, Nachhaltigkeit, Lebenswissenschaften und Quantenwissenschaften sind strategische Schlüsselthemen. Wir bauen deshalb in diesen hochrelevanten Feldern mit hohem finanziellem Einsatz fünf Standorte als Leuchttürme der internationalen Spitzenforschung auf. In diesen Innovationsökosystemen, wir nennen sie Innovationscampus, vernetzen wir die Stärken der jeweiligen Hochschulen, Forschungseinrichtungen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft.
Auch in der Hochschulmedizin setzen wir auf Vernetzung und Translation. Im Miteinander unserer vier starken Universitätskliniken entsteht aktuell unter anderem eine Blaupause in Sachen Datennutzung im Gesundheitsbereich.
Welche Highlights der Forschung und Innovation hat Ihr Bundesland zu bieten?
Das sind die genannten Schlüsselthemen: Gesundheits- und Lebenswissenschaften, Quantenwissenschaften und natürlich Künstliche Intelligenz. Der erste, im Jahr 2016 gegründete KI-Innovationscampus Cyber Valley im Raum Stuttgart/Tübingen hat bereits internationale Strahlkraft erlangt und zieht sowohl junge Talente als auch renommierte Forscherpersönlichkeiten aus der ganzen Welt an. Zusammen mit der Hector-Stiftung bauen wir im Cyber Valley derzeit das weltweit erste ELLIS (European Laboratory for Learning and Intelligent Systems) Institut auf, das noch bessere Rahmenbedingungen für KI-Forscherinnen und Forscher schaffen wird.
Auch als Forschungs- und Ausbildungsstandort in der Luft- und Raumfahrttechnik ist Baden-Württemberg stark aufgestellt. Unsere universitären und außeruniversitären Forschungseinrichtungen sind Impulsgeber auf dem Weg zur nachhaltigen Luft- und Raumfahrt. Und: Europas größte Fakultät für Luft- und Raumfahrt ist an der Universität Stuttgart.
Dieses Jahr konnten wir bundesweit überdies die erste universitäre Forschungsstelle Rechtsextremismus in Tübingen einrichten. Wir wollen Innovation und Transformation nicht nur technologisch, sondern auch gesellschaftlich verstehen und das Wissen um die gesellschaftlichen Prozesse und Entwicklungen stärken.
Wo muss Ihr Bundesland in Forschung und Entwicklung noch besser werden?
Aktuell beobachten wir – wie im bundesweiten Trend – einen Rückgang der Studierendenzahlen in für Baden-Württemberg wichtigen Schlüsselfächern wie Maschinenbau und Elektrotechnik. Daran arbeiten wir derzeit.
Damit hängt auch zusammen, dass wir die Kooperation zwischen Hochschulen und Schulen intensivieren müssen und das Lehramtsstudium in Teilen neu denken. Aktuell planen wir die Einführung eines integrierten (dualen) Lehramtsmaster in den MINT-Fächern, um mehr Nachwuchs zu gewinnen und genau diesen Bereich in Schule und Studium zu stärken.
Was den Transfer von Forschungsergebnissen in die Praxis angeht, müssen wir noch schneller werden. Start-ups und Spin-offs aus der Wissenschaft spielen dabei eine zentrale Rolle. Das Potenzial dafür ist in Baden-Württemberg aber bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Wir werden unser Engagement deshalb noch verstärken.
Welche Initiativen oder Unterstützung wünschen Sie sich vom Bund?
Wir wünschen uns vor allem eine verbindliche, vertrauensvolle und frühzeitige Abstimmung, beispielsweise über geplante Förderlinien oder wenn Förderlinien eingestellt werden. Der Blick auf die schwierige Situation der Studierenden ist derzeit ebenfalls von großer Bedeutung: Wir brauchen eine Bafög-Reform, die den Studierenden wirklich hilft.
Bei neuen gesetzlichen Regelungen sind immer auch die Auswirkungen auf den FuE-Standort zu berücksichtigen, beispielsweise bei der KI-Regulierung. Hier sitzt die Bundesregierung in Brüssel mit am Verhandlungstisch. Was wir brauchen, sind ermöglichende Regelungen, insbesondere bei den gesetzlichen Rahmenbedingungen für wettbewerbsfähige Vergütungen im FuE-Bereich.
Und: Das angekündigte Forschungsdatengesetz muss schnell beschlossen und umgesetzt werden, um den Zugang zu Daten für die Wissenschaft zu verbessern und die Rahmenbedingungen für die Weitergabe und Aufbewahrung von Daten rechtssicher zu gestalten.
Hemmt der Föderalismus die Forschung?
Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall: Der Föderalismus stärkt den Wettbewerb und damit den Forschungsstandort Deutschland insgesamt – auch im internationalen Vergleich. Wir haben 16 Testfelder für gute, erfolgreiche Wissenschaftspolitik.
Eine Auswertung von Elsevier für den Table.Media-Länder-Kompass zeigt, in welchen Forschungsbereichen Baden-Württemberg stark vertreten ist. Neben der Astronomie sieht man deutlich den KI-Schwerpunkt mit Algorithmen und Computer Vision, aber auch die Stärke in den Neuro- und in den Lebenswissenschaften. Etwas verzerrt wird die Darstellung durch Veröffentlichungen mit mehreren hundert Autoren insbesondere in der Physik.
Die Zahl der Paper, die von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Baden-Württemberg veröffentlicht wurden, hat zugenommen. 2013 waren es gut 30.000, im Jahr 2022 dann weit über 37.000 Veröffentlichungen. Davon waren jedoch 2013 18,9 Prozent unter den Top-10-Prozent der meistzitierten Publikationen. 2022 waren es nur noch 17,4 Prozent.
Table Media: Länder-Kompass: Baden-Württemberg – Exzellenz mit Bodenhaftung