Research.Table vom 9. September 2025

Verantwortung übernehmen in der Zeitenwende

In der Debatte um Zeitenwende und Zivilklausel hält die Wissenschaftsministerin von Baden-Württemberg, Petra Olschowski, nichts von Verpflichtungen, sondern fordert Verantwortung. Es gehe um Finanzierung, Kooperation und Friedenssicherung.

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Von Petra Olschowski

In der Debatte um Zeitenwende und Zivilklausel hält die Wissenschaftsministerin von Baden-Württemberg, Petra Olschowski (Grüne), nichts von Verpflichtungen, sondern fordert Verantwortung. Es gehe um Finanzierung, Kooperation und Friedenssicherung.

Der Angriff auf die Ukraine, die aktuellen geopolitischen Veränderungen und der Verlust von bisher sicherheitsrelevanten Partnern haben dazu geführt, dass wir im großen Feld der Sicherheits- und Verteidigungspolitik vor neuen Aufgaben stehen. Das gilt für die Gesellschaft insgesamt, aber auch und besonders für die Bereiche Wissenschaft und Forschung. Und es betrifft alle Länder, den Bund und unsere europäischen Nachbarn gleichermaßen.

Nicht nur Chancen, sondern auch große Herausforderungen. Aber damit sind nicht nur die zuletzt vor allem beschworenen Chancen verbunden, sondern auch grundlegende Herausforderungen gerade für das deutsche Hochschulsystem, das in seiner Grundstruktur durch Autonomie, Freiheit, Offenheit, Transparenz und Internationalität geprägt ist.

Wir sind uns der Verantwortung bewusst. Ich kann hier nur für die Situation in Baden-Württemberg sprechen. Aber vergleichbare Entwicklungen gibt es vermutlich in fast allen Ländern. Für Baden-Württemberg jedenfalls gilt: Als einer der führenden Forschungs- und Wissenschaftsstandorte in Deutschland sehen wir uns in der Verantwortung, einen Beitrag zur Zeitenwende zu leisten.

Baden-Württemberg investiert schon seit Jahren. Wir verfügen in Baden-Württemberg über international renommierte Zentren in der Luft- und Raumfahrt, in der Quantenforschung sowie im weiten Feld der Künstlichen Intelligenz und Robotik. In diese für Sicherheit und Verteidigung wichtigen Schlüsseltechnologien sowie in Cybersicherheit investieren wir seit Jahren.

Aufbau eines neuen Innovationscampus. Mit den Hochschulen, Forschungseinrichtungen und der Wirtschaft zusammen haben wir Potenziale identifiziert und starten nun gemeinsam Maßnahmen, die einen forschungsrelevanten Beitrag zur Sicherheit und Verteidigung leisten. Angelehnt an die erfolgreichen Innovationscampus-Modelle des Landes werden wir einen Innovationscampus Sicherheit und Verteidigung aufbauen.

Geschwindigkeit und Fokus beim Transfer. Zentrales Ziel des neuen Innovationscampus wird es vor allem sein, den Transfer zwischen den Partnern zu stärken und kritische Infrastruktur gemeinsam zu nutzen. Es geht um die notwendigen Innovationen, um Geschwindigkeit und Fokussierung und um schnelle Überführung der Forschungsergebnisse. Dazu binden wir neben den Hochschulen die in der Verteidigungsforschung erfahrenen Institute der Fraunhofer-Gesellschaft und der DLR-Standorte im Land sowie die innovativen Unternehmen, Mittelständler und Start-ups ein. Mit dem Innovationscampus bauen wir somit ein großes Netzwerk der relevanten Akteurinnen und Akteure auf.

Infrastruktur gemeinsam mit Partnern nutzen. Ein weiteres, sehr konkretes Beispiel für unsere Aktivitäten ist die für 2026 geplante Anschaffung eines europaweit einmaligen Hyperschallkanals an der Universität Stuttgart. Der Kanal wird detaillierte Untersuchungen zu aero- und thermodynamischen Fragestellungen ermöglichen, die für den Entwurf von Hyperschallfluggeräten entscheidend sind. Er bietet einzigartige Vorteile wie zum Beispiel lange Messzeiten und wird dadurch eine gefragte Infrastruktur für Kooperationen mit europäischen Partnerinnen und Partnern sein.

Keine Verpflichtung, sondern Verantwortung. Aber es geht nicht nur um Infrastruktur und Mittel: Die Hochschulen brauchen darüber hinaus weitere Unterstützung und intensiven Austausch, um in den Bereichen Sicherheit und Verteidigung erfolgreich arbeiten zu können. Auf eine gesetzliche Verpflichtung, wie andere Länder sie vorsehen, verzichten wir bewusst. In allen Gesprächen zeigt sich, dass die Universitäten und Hochschulen, die betroffen sind, die Verantwortung selbst erkennen und annehmen.

Übergeordnetes Ziel ist Friedenssicherung. Eine landesweite gesetzliche Zivilklausel sehen wir im Umkehrschluss ebenfalls nicht vor. Die Hochschulen und ihre Mitglieder entscheiden autonom, welche Aspekte sie in ihren Grundordnungen für relevant halten. Die wenigen Hochschulen in Baden-Württemberg, die das Thema in ihrer Grundordnung benennen, bekennen sich zur Friedenssicherung als Aufgabe. Und genau darum geht es bei all unseren Anstrengungen ja: um Friedenssicherung.

Rund um die Forschungscluster ergeben sich viele Fragen, die das Fundament unseres Wissenschaftssystems betreffen. Was bedeuten diese Entwicklungen für unsere Hochschulen als offene Orte der Transparenz und Debattenkultur? Welche Auswirkungen haben sie für die bauliche Infrastruktur und die IT? Welchen Einfluss üben sie auf internationale Kooperationen aus? Wie gestaltet sich das Verhältnis zwischen Auftragsforschung und freier Forschung? Wie sichern wir kritische Daten? Dies sind nur einige der zentralen Stichworte.

Klar ist auch, als Länder können wir die Anforderungen finanziell nicht allein stemmen. Wir brauchen ein deutlich höheres Engagement von Bund und EU, mehr Investitionen, um die Arbeit der Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen zu unterstützen, die nicht zu Lasten der bisherigen Forschungshaushalte gehen dürfen.

In der Dauerkrise braucht es schnelle Anpassungen. Eine der schwierigsten Fragen ist, wie die Hochschulen Entscheidungen und Prozesse hochschulintern, aber auch unter Einbeziehung der Gesellschaft demokratisch gestalten. Von uns allen wird im Dauerkrisenmodus eine enorm hohe und schnelle Anpassungsfähigkeit erwartet. Wie erholen sich Gesellschaften von krisenhaften Zuständen? Wie gehen wir mit den Traumata um, die jene erfahren, die aktuell in Kriegsgebieten leben? Und wie muss unser Bildungssystem auf die Veränderungen reagieren? Ich bin überzeugt, dass die Forschung auch hier einen wichtigen Beitrag leisten kann und muss.

Denn letztlich geht es doch bei all dem um die eine zentrale Frage: Wie schützen wir die allerwichtigste kritische Infrastruktur, die wir haben – unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung. Diese Aufgabe betrifft uns alle, jeden Tag von neuem.