Die Kommission zur Erforschung der „Geschichte der Landesministerien in Baden und Württemberg in der Zeit des Nationalsozialismus“ legt ihre Ergebnisse vor.
Wissenschaftsministerin Theresia Bauer: „Landesministerien handelten auch eigenverantwortlich. Daraus erwächst die Pflicht zur Erinnerung und Aufarbeitung“
Das im Jahr 2014 von der Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg, Theresia Bauer, initiierte und von der Baden-Württemberg-Stiftung finanzierte Forschungsprojekt „Geschichte der Landesministerien in Baden und Württemberg in der Zeit des Nationalsozialismus“ nähert sich seinem Abschluss.
Wissenschaftsministerin Theresia Bauer: „Die Arbeit der Kommission ist bemerkenswert, weil sie Licht auf einen bislang wenig beachteten Teil der nationalsozialistischen Machtgrundlagen wirft: Die Rolle der Länderregierungen zwischen 1933 und 1945. Entgegen bisheriger Annahmen gab es durchaus Handlungsspielräume auf Landesebene, das hat die Untersuchung von Baden und Württemberg gezeigt. Die Landesministerien handelten also auch eigenverantwortlich. Umso mehr hat das heutige Baden-Württemberg die Pflicht zur Erinnerung und Aufarbeitung.“
„Ich halte das Projekt für unverzichtbar, damit eine Demokratie auf soliden Beinen stehen kann“, erklärt Christoph Dahl, Geschäftsführer der Baden-Württemberg Stiftung, die das Forschungsprojekt zum Großteil finanziert hat. „Geschehnisse wie die in der deutschen Geschichte beeinflussen noch immer unsere Gesellschaft von heute. Und es gibt immer noch großes Potenzial für die Aufarbeitung der Umstände und Zusammenhänge, in denen sich auch die Landesministerien befanden. Wir können aus solchen Projekten viel für unser demokratisches Handeln und Selbstverständnis lernen.“
Im Vorgriff auf die beiden 2018 erscheinenden wissenschaftlichen Sammelbände stellten die beiden Vorsitzenden der mit der Durchführung des Projekts betrauten Kommission, Prof. Dr. Wolfram Pyta (Universität Stuttgart) und Prof. Dr. Edgar Wolfrum (Universität Heidelberg), heute im Rahmen einer Landespressekonferenz eine Zusammenfassung zentraler Forschungsergebnisse vor.
Die erstmalige systematische Untersuchung der Rolle der Landesministerien im Herrschafts- und Verwaltungsapparat der NS-Diktatur habe gezeigt, so der Tenor einer von der sechsköpfigen Historikerkommission vorgelegten Broschüre, dass deren Bedeutung bislang unterschätzt worden sei: Zwar verloren die Länder 1934 im Zuge der Verwaltungszentralisierung ihre Justizministerien; die übrigen Ressorts wurden aber durch die „Verreichlichung“ nicht marginalisiert, sondern konnten sich beträchtliche politische Einflussmöglichkeiten erhalten und teilweise auch neue hinzugewinnen. Das Projekt mache deutlich, hob Prof. Pyta hervor, „wie die teils zurückhaltende, teils willfährige, teils skrupellose Mitwirkung zahlreicher Landesbediensteter an der nationalsozialistischen Herrschaftspraxis die Durchsetzung und Ausgestaltung des ‚Dritten Reichs‘ vor Ort, im sozialen und regionalen Nahbereich, erst ermöglicht hat“.
Im Fokus der Recherchen standen die Biographien der badischen und württembergischen Ministerialbeamten, die in unterschiedlichen Funktionen auch an der NS-Repressionspolitik beteiligt waren. Wie Prof. Wolfrum darlegte, kam es 1933 nur zu moderaten Eingriffen in den Personalbestand der Landesministerien; ihre „Umwandlung in Werkzeuge der Diktatur war vielmehr ein Prozess der Selbstgleichschaltung der Beamtenschaft und Ausdruck eines kollektiven politischen Opportunismus“. So wie bei der nationalsozialistischen Machtübernahme ein administrativer Elitentausch ausgeblieben sei, habe auch das Kriegsende 1945 keine gravierende Zäsur dargestellt: Einer großen Zahl von NS-belasteten Ministerialbeamten sei die Rückkehr in den öffentlichen Dienst Baden-Württembergs und seiner Vorgängerländer gelungen – dies indes sei „keine südwestdeutsche Besonderheit, sondern der bundesweite Normalfall“ gewesen, so Prof. Wolfrum.
Projektportal:
Projektfinanzierung:
Das von der Baden-Württemberg Stiftung mit insgesamt 1,45 Mio. Euro geförderte und unter der Schirmherrschaft von Wissenschaftsministerin Theresia Bauer bearbeitete Forschungsprojekt lief nach einer 3-jährigen Förderdauer am 31. März 2017 aus. Das Projekt wurde vom MWK kostenneutral bis 2018 verlängert (Veröffentlichungen sollen noch vorbereitet werden).
Das MWK unterstützte das „Public History“-Konzept mit 80.000 Euro - zusätzlich zur Förderung des eigentlichen Forschungsaufwands durch die Baden-Württemberg-Stiftung. Zusätzlich stellte das MWK 20.000 Euro für die Digitalisierung der Materialien. 2013 gab es ein Vorläufer-Projekt, dass die Machbarkeit des Forschungsvorhaben untersuchte, unterstützt mit 100.000 Euro vom MWK.
Die Projektmittel wurden zwischen den koordinierenden Universitäten Heidelberg und Stuttgart aufgeteilt (die Forschungsschwerpunkte lagen hier auch jeweils auf Baden und Württemberg).