Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid, Oberbürgermeister Fritz Kuhn und Kunststaatssekretär Jürgen Walter: Einzigartiges Projekt der institutionalisierten Bürgerbeteiligung - Verantwortung für die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit
Das „Hotel Silber“ in Stuttgart, der Sitz der Geheimen Staatspolizei in der NS-Zeit, wird zu einem Erinnerungsort an die nationalsozialistischen Verbrechen. Zugleich soll es aber auch ein Lernort für Demokratie sein.
„Eine lebendige Erinnerungskultur ist ein wichtiger Bestandteil des gesellschaftlichen Zusammenlebens“, erklärten Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid, Kunststaatssekretär Jürgen Walter und Oberbürgermeister Fritz Kuhn am 15. Januar 2016 in Stuttgart.
Mit der Vertragsunterzeichnung wird ein mehrjähriger und intensiver Dialogprozess zwischen Land, Landeshauptstadt Stuttgart, der Initiative Hotel Silber e.V. und dem Haus der Geschichte abgeschlossen.
Die Unterzeichnung der Finanzierungs- und Organisationsvereinbarung zwischen dem Land Baden-Württemberg und der Landeshauptstadt Stuttgart schafft die Grundlage für eine Zusammenarbeit zwischen dem Haus der Geschichte Baden-Württemberg und der Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber e.V. Das Haus der Geschichte ist Träger des künftigen Lern- und Erinnerungsortes.
Der Vertrag regelt die Struktur und Finanzierung des Erinnerungsorts in der Dorotheenstraße 10. Dieser überregional und lokal bedeutsame historische Ort, in dem ehemals die Gestapo-Leitstelle für Württemberg und Hohenzollern untergebracht war, gilt als Inbegriff des nationalsozialistischen Unrechtsregimes. In den Räumen wird auf rund 1.000 Quadratmetern künftig eine Einrichtung der historisch-politischen Bildung entstehen.
„Ziel ist es, einen Ort des Bekenntnisses zu demokratischen Grundrechten und zu gelebter Akzeptanz menschlicher Vielfalt einzurichten“, betonte Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid.
„Mit dem Vertrag übernehmen wir Verantwortung für die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit“, ergänzte Staatssekretär Jürgen Walter. Er dankte allen Beteiligten für den langwierigen Dialogprozess, der jetzt zu einem ersten Abschluss gekommen ist. Jetzt gelte es, dieses Pilotprojekt einer institutionalisierten Bürgerbeteiligung auch erfolgreich umzusetzen. „Die aktuellen Brandstiftungen gegenüber Asylunterkünften und der zunehmende Fremdenhass machen nochmals deutlich, wie wichtig Aufklärung über den nationalsozialistischen Terror wie auch über den Demokratisierungsprozess nach 1945 für unserer Gesellschaft sind“, erinnerte Walter.
Oberbürgermeister Fritz Kuhn dankte der Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber e. V., die das Projekt initiiert und mit großem Engagement begleitet hat: „Mit dem Hotel Silber erhält die Stadt Stuttgart einen lebendigen und beispielhaften Erinnerungsort, der auch Menschen über die Stadt hinaus ansprechen wird. Dass Bürger den Betrieb mitgestalten, ist bundesweit einzigartig. Aus dem Lernen über die Vergangenheit können die Besucher Perspektiven für ihr Handeln gewinnen. Zentral ist dabei die Vermittlung demokratischer Werte sowie der Grund- und Menschenrechte.“
Die Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber e.V., die den Abriss des Gebäudes verhindert hat, wird sich an Gestaltung und Betrieb der Einrichtung aktiv beteiligen. „Wir freuen uns“ sagten Elke Banabak und Harald Stingele von der Initiative „dass nun der Rahmen für das Zusammenwirken einer etablierten Institution mit engagierten Bürgerinnen und Bürgern feststeht. Land, Stadt und Initiative haben gemeinsam Neuland beschritten. Jetzt gilt es, den Anspruch, den die Verträge formulieren, mit Leben zu erfüllen und in partnerschaftlichem Geist die Eröffnung des Hauses vorzubereiten. Ins ‚Hotel Silber‘ wollen wir unser vielfältiges Potenzial einbringen, unterschiedlichen Sichtweisen und Perspektiven Raum geben, mit geschichtsbewusstem Blick an aktuelle Fragen herangehen und unseren Beitrag leisten, dass der neue Ort Bedeutung gewinnt für die Gegenwart.“
Thomas Schnabel, Leiter des Hauses der Geschichte, sagte: „Das Hotel Silber wurde - bundesweit einmalig - von 1928 bis 1984 ununterbrochen von der Polizei genutzt. Hier können, wie an keinem anderen Ort im Land, Kontinuitäten und Brüche im Umgang mit Minderheiten und Gegnern, aber auch das Selbstverständnis der jeweiligen Polizisten in Demokratie und Diktatur dargestellt werden."
Hintergrundinformationen: Land und Stadt finanzieren den Erinnerungsort
Für den laufenden Betrieb des Erinnerungsorts , der im Jahr 2017 eröffnet werden soll, stehen jährlich 500.000 Euro zur Verfügung, die von Stadt und Land jeweils zur Hälfte übernommen werden. Dazu kommen die Kosten für die Flächenbewirtschaftung in Höhe von voraussichtlich 60.000 Euro jährlich, die ebenfalls vom Land und der Stadt je zur Hälfte getragen werden. Die Flächenmiete von rund 150.000 Euro jährlich und die Umbaukosten von über 3 Millionen Euro trägt das Land Baden-Württemberg alleine. Für die Vorbereitung, Ausstellungsplanung und Ausstellungseinrichtung stehen weitere 3 Millionen Euro bereit, an denen sich das Land und die Stadt je zur Hälfte beteiligen.
Träger des Erinnerungsorts ist das Haus der Geschichte Baden-Württemberg, das mit seiner hohen fachlichen Kompetenz die wissenschaftliche und nachhaltige Qualität des Projekts sicherstellt. Das Konzept umfasst drei Säulen: Die Dauerausstellung, Veranstaltungen und Projekte sowie Sonderausstellungen zu einzelnen Themen. Das Raumnutzungs- und Ausstellungskonzept sowie das Bildungskonzept sollen zwischen dem Haus der Geschichte und der Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber e. V. beraten werden.
Gremien des Erinnerungsorts sind Verwaltungsrat, Programmbeirat und der Runde Tisch. Dem Verwaltungsrat als leitendem Gremium gehören zwei Vertreter des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst an, zwei des Ministeriums für Finanzen und Wirtschaft, zwei der Stadt Stuttgart sowie zwei der Bürgerschaft.
Dem Verwaltungsrat obliegt der Beschluss über den Wirtschaftsplan, die mittelfristige Finanzplanung und das Jahresprogramm. Zudem entscheidet der Verwaltungsrat über Grundsatzfragen und die künftige Entwicklung der Einrichtung.
Der Programmbeirat wirkt beratend mit bei der Erarbeitung des Jahresprogramms sowie bei den Sonderausstellungen. Er berät den Verwaltungsrat bei Grundsatzfragen und bei der Weiterentwicklung der Einrichtung. Zum Programmbeirat gehören das Haus der Geschichte, die Bürgerschaft, die Stadt Stuttgart, die Landeszentrale für politische Bildung und die Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten und Gedenkstätteninitiativen (LAGG).
Der Runde Tisch berät den Verwaltungsrat und spricht Empfehlungen aus. Ihm gehören neben dem Verwaltungsrat jeweils eine Vertretung aller im Landtag Baden-Württemberg vertretenen Fraktionen und Fraktionsgemeinschaften an, jeweils eine Vertretung aller im Gemeinderat der Stadt Stuttgart vertretenen Fraktionen und Fraktionsgemeinschaften, eine Vertretung des Staatsministeriums, der Vorstand des Hauses der Geschichte Baden-Württemberg, jeweils eine Vertretung der Jugendorganisationen der im Landtag repräsentierten Parteien, der Landeszentrale für politische Bildung, der Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten und Gedenkstätteninitiativen sowie weitere zu bestimmende Vertretungen gesellschaftlich relevanter Organisationen.
In einer ergänzenden Bürgerbeteiligungs- und Nutzungsvereinbarung, die das Haus der Geschichte und die Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber e. V. ebenfalls am 15. Januar 2016 unterzeichneten, werden die Grundlagen für die konzeptionelle Zusammenarbeit und für die bürgerschaftliche Nutzung geregelt. Dies umfasst auch die von der Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber in Eigenverantwortung durchgeführten Veranstaltungen und Projekte und die Überlassung eines Arbeitsraums für die Projektarbeit. Beiträge weiterer Akteure der Zivilgesellschaft sind im Rahmen der Programmgrundsätze und der räumlichen und zeitlichen Möglichkeiten ausdrücklich erwünscht.