Kunst und Kultur

Land gibt menschliche Überreste an Māori Community aus Neuseeland zurück

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Wissenschaftsministerin Petra Olschowski unterschreibt bei der feierlichen Rückgabezeremonie den Vertrag mit Neuseeland

Baden-Württemberg hat am Dienstag (30. Mai) in einer feierlichen Zeremonie im Linden-Museum Stuttgart sterbliche Überreste von Vorfahren – Tūpuna – der Māori und Moriori an Vertreterinnen und Vertreter der Māori Community und des Nationalmuseums von Neuseeland Te Papa Tongarewa zurückgegeben. Die Schädel und ein zeremonielles Essbesteck waren Teil der Sammlungen des Staatlichen Museums für Naturkunde Stuttgart und des Linden-Museums Stuttgart. Die Rückgabe der menschlichen Überreste aus dem Bestand des Linden-Museums wird von der Landeshauptstadt Stuttgart mitgetragen. 

Petra Olschowski, Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg, sagte: „Mit der heutigen Rückgabe der Tūpuna kommen wir unserer historischen Verantwortung nach. Es ist Baden-Württemberg ein großes Anliegen, die immer noch zahlreichen menschlichen Überreste, die ohne Zustimmung der Angehörigen oder gar gewaltsam aus den ehemaligen Kolonialgebieten entwendet wurden, aus unseren Sammlungen zurückzugeben. Dies liegt mir auch persönlich am Herzen. Es bedeutet mir daher viel, dass wir bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr in einer feierlichen Zeremonie human remains auf den Weg bringen können zu ihrer letzten Ruhe in den Herkunftsländern. Mein besonderer Dank gilt den Vertreterinnen und Vertretern aus Neuseeland, die uns an ihrer Zeremonie teilhaben lassen.“

Die Bürgermeisterin für Soziales und gesellschaftliche Integration der Stadt Stuttgart, Dr. Alexandra Sußmann, sagte: „Ich bin stolz und dankbar, dass wir in Stuttgart schon seit einigen Jahren den Weg der Restitution konsequent gehen. Dabei stellt sich das Linden-Museum, ebenso wie das Staatliche Naturkundemuseum Stuttgart, aktiv und vorbildlich seiner Vergangenheit und nimmt sich der Verantwortung für die Sammlungsbestände des Museums ernsthaft und selbstkritisch an. Seit 2021 gibt es am Linden-Museum sogar eine unbefristete Stelle für Provenienzforschung, die jeweils zur Hälfte vom Land Baden-Württemberg und der Stadt Stuttgart getragen wird.  Das gibt es in nur wenigen ethnologischen Museen in Deutschland. Die Stadt Stuttgart als kommunale Trägerin des Linden-Museums ist ebenso bereit, ihren Teil dieser historischen Verantwortung zu tragen. Damit wollen auch wir einen aktiven Beitrag zur Aufarbeitung kolonialen Unrechts leisten.“

Der neuseeländischen Delegation gehörten Te Herekiekie Herewini und Te Arikirangi Mamaku-Ironside vom neuseeländischen Nationalmuseum Te Papa Tongarewa an sowie Paraone Gloyne, Ngahuia Kopa, Hinemoana Baker, Chas Karauria Taurima und Christine Harvey als Vertreterinnen und Vertreter der Māori und Moriori Communities Neuseelands.

Begleitet wurde die Delegation von seiner Exzellenz Craig Hawke, Botschafter Neuseelands in Deutschland in Berlin. Er sagte: „Aotearoa Neuseeland unterstützt die Māori und Moriori weiterhin bei der Rückführung ihrer Tūpuna und Karapuna (Vorfahren) aus Kultureinrichtungen als Teil des Prozesses der Versöhnung und Wiedergutmachung. Anlässlich der Feierlichkeiten zum 70jährigen Bestehen der diplomatischen Beziehungen zwischen Aotearoa Neuseeland und Deutschland sind diese Rückführungen ein Beweis für die reife und enge Beziehung zwischen unseren Ländern. Die beteiligten Institutionen haben gegenüber Aotearoa Neuseeland, den Māori und den Moriori großen Respekt und Verständnis gezeigt. Die Rückkehr der Vorfahren an ihre Herkunftsorte ist weltweit von enormer Bedeutung. Es ist ermutigend zu sehen, wie die Weltgemeinschaft in den letzten Jahren ihre Haltung zu heiligen Überresten und Taonga verändert hat. Nun können die Ahnen ihre lange Reise nach Hause antreten.“

Dr. Te Herekiekie Herewini, Leiter des Karanga Aotearoa Repatriierungsprogramms des Nationalmuseums Te Papa Tongarewa, sagte: „Toi moko (mumifizierte Häupter) und kōiwi tangata (Teile von Skeletten) sind Überreste von Ahnen. Trotz der langen Zeit, in der sie keine Verbindung zu ihrer Heimat hatten, bleibt ihre kulturelle Verbindung durch den Lauf der Zeit und die Entfernung bestehen. Wir freuen uns sehr, dass sich das Land-Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart mit dem Linden-Museum und dem Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart bereit erklärt haben, diese Überreste der Vorfahren zu repatriieren. So können wir sie endlich dorthin zurückbringen, wo sie hingehören.“

Dr. Arapata Hakiwai, Māori-Leiter des Nationalmuseums Te Papa Tongarewa, sagte: „Wir würdigen das Mitwirken des Landes Baden-Württemberg, der Stadt Stuttgart, des Linden-Museums und des Staatlichen Museums für Naturkunde Stuttgart – der partnerschaftliche Ansatz ist ein großartiges Beispiel für die tiefe und dauerhafte Verbundenheit zwischen Aotearoa Neuseeland und Deutschland. Die Geschichte des Toi-Moko-Handels ist umstritten und ein wahrer Anlass zu mamae (Verletzung, Schmerz). Der Rückführungsprozess macht dieses tragische Erbe deutlich und bietet den Institutionen die Möglichkeit, die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren.“

Prof. Dr. Inés de Castro, Direktorin des Linden-Museums Stuttgart, sagte: „Die Repatriierung nach Neuseeland ist für uns ein weiterer wichtiger Schritt in einem Prozess der Aufarbeitung kolonialen Unrechts. Wir pflegen zu Māori-Vertreterinnen und -Vertretern seit Jahren vielfältige Beziehungen und danken Ihnen sehr für die vertrauensvolle Zusammenarbeit in Vorbereitung dieser Rückgabezeremonie.“

Prof. Dr. Lars Krogmann, Direktor des Staatlichen Museums für Naturkunde, sagte: „Unter dem Deckmantel der Forschung gelangten menschliche Überreste aus Neuseeland zu uns an das Naturkundemuseum Stuttgart. Fast 150 Jahre später erkennen wir, welches Leid der Kultur der Māori und Moriori damit angetan wurde. Wir sind dankbar, in der heutigen gemeinsamen Zeremonie die Überreste der aus Neuseeland stammenden Menschen an ihre Nachfahren übergeben zu können und damit zumindest einen kleinen Beitrag zur Aufarbeitung des begangenen Unrechts leisten zu können.“

Weitere Informationen:

Das Nationalmuseum Te Papa Tongarewa hat sich im Herbst 2022 an das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg gewandt mit der Bitte, menschliche Überreste aus den Sammlungen des Landes nach Neuseeland zu überführen.

Die Zeremonie in Stuttgart ist Teil einer größeren Initiative zur Rückführung von Vorfahren nach Neuseeland aus Sammlungen in Deutschland. Unter der Leitung von Te Herekiekie Herewini werden dieses Frühjahr im Auftrag des Karanga Aotearoa Repatriierungsprogramms am Te Papa Tongarewa Nationalmuseum menschliche Überreste auch aus den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim, dem Grassi Museum Leipzig, der Universität Göttingen, dem Römer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim und dem Museum Wiesbaden an Neuseeland übergeben.

Die Zeremonie erfüllt mehrere Funktionen: Sie ist ein Staatsakt, an dem der neuseeländische Botschafter teilnimmt und mit dem ein koloniales Unrecht anerkannt und aufgearbeitet werden soll, und zugleich eine Feier des Abschieds und der Begrüßung. Die Feier ist von rituellen Elementen getragen und folgt einem bestimmten Ablauf. Von großer Bedeutung dafür sind die in die Feier eingebauten Gesänge und Gebete. Die Tūpuna werden mit der Zeremonie auf die Rückreise nach Neuseeland vorbereitet.

Historische Verantwortung

Das Land Baden-Württemberg bekennt sich zu seiner historischen Verantwortung im Hinblick auf die koloniale Vergangenheit Deutschlands und Europas. Dazu gehört die Rückgabe von Artefakten und, noch wichtiger, von menschlichen Überresten in ihre Herkunftsländer. Die Rückführung menschlicher Überreste hat für das Land Baden-Württemberg einen hohen Stellenwert, den es gemeinsam mit seinen wissenschaftlichen Einrichtungen und Museen umsetzt.

Die menschlichen Überreste, die kolonialen Kontexten zuzuordnen sind, kamen auf sehr unterschiedliche Weise nach Baden-Württemberg und in die Sammlungen. Oftmals stand dies im Zusammenhang mit inhumanen, rassistisch motivierten Forschungen, deren Ziel es war, Menschen in unterschiedliche Kategorien anhand von Hautfarbe oder Schädelform zu gruppieren, Entwicklungsstadien zu postulieren und eine angebliche Hierarchie menschlicher „Rassen“ zu belegen.

Am 5. April 2023 hat das Land Baden-Württemberg 19 iwi kūpuna (Vorfahren), menschliche Überreste indigener Hawaiianerinnen und Hawaiianer  an die Gruppe Hui Iwi Kuamoʻo und Vertreter des Office of Hawaiian Affairs in den USA zurückgegeben.

Linden-Museum Stuttgart

Das Linden-Museum Stuttgart ist ein ethnologisches Museum. Es betrachtet alle Kulturen als gleichwertig und stellt die Vielfalt menschlicher Kultur dar. Im Fokus stehen heute ein dynamisches Kulturverständnis sowie neue Formen von Begegnung und Dialog. Gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern der Herkunftsgesellschaften, mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus aller Welt und mit interessierten Stuttgarterinnen und Stuttgartern bearbeitet, erforscht und rekonstruiert das Linden-Museum die Wissenskontexte um seine Sammlungen.

Staatliches Museum für Naturkunde Stuttgart

Das Staatliche Museum für Naturkunde Stuttgart bietet seinen Besuchern in zwei Ausstellungsgebäuden rund 12 Millionen Objekte und ist damit eines der größten Naturkundemuseen Deutschlands. Es ist eine zukunftsorientierte Forschungs- und Bildungseinrichtung. Das Museum trägt zum Verständnis komplexer biologischer Konzepte von der Urzeit bis heute bei und vermittelt Erkenntnisse an die breite Öffentlichkeit.

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