Wie kommen von der Wissenschaft und Forschung entwickelte Medikamente, Therapie- und Diagnosemethoden schneller in die Regelversorgung und damit den Patientinnen und Patienten zugute? Diese Frage steht bei der fünften Jahresveranstaltung des Forums Gesundheitsstandort an diesem Mittwoch (6. Dezember) in der Stuttgarter Liederhalle im Fokus. Das Land hat zur sogenannten medizinischen Translation in enger Abstimmung mit dem Netzwerk des Forums eine Strategie erarbeitet.
„Um medizinische Erkenntnisse schneller in die Versorgung zu bringen, brauchen wir weniger bürokratische Hürden, mehr Selbstverantwortung und ein höheres Tempo. Nur dann können Patientinnen und Patienten konkret von neuen Therapiekonzepten profitieren, beispielsweise bei seltenen Erkrankungen“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann anlässlich der Veranstaltung. „Digitalisierung oder Künstliche Intelligenz bieten enorme Chancen, die aber oft nicht den Weg in die Arztpraxis oder den klinischen Alltag finden. Genau hier setzt unsere Translationsstrategie an.“
Patientennahe Forschung stärken
So sollen beispielsweise Genehmigungsverfahren für klinische Studien vereinfacht und Vertragsvorgaben vereinheitlicht werden. Klinische Studien schaffen – insbesondere für Menschen, die unter seltenen, lebensbedrohlichen oder schnell fortschreitenden Erkrankungen leiden – einen frühen Zugang zu neuen oder alternativen Therapieoptionen.
Im Forum soll zudem ein Vorschlag aus der Wissenschaft geprüft werden, künftig eine übergreifende und landesweit zuständige Ethikkommission zu etablieren. Das Land Baden-Württemberg verfügt derzeit über insgesamt sechs medizinische Ethikkommissionen, die Forschungsvorhaben mit Menschen oder menschlichem Biomaterial prüfen und über deren Durchführung entscheiden. Da es sich bei den Bewertungen stets um Einzelfall- und Ermessensentscheidungen der jeweiligen Ethikkommission handelt, kann gerade bei standortübergreifenden Forschungsprojekten nicht ausgeschlossen werden, dass identische Anträge an den Standorten unterschiedlich und zeitlich versetzt bewertet werden – eine Kommission also ein Vorhaben genehmigt und eine andere Kommission dies ablehnt.
Zudem wird in der Translationsstrategie vorgeschlagen, innovativere Finanzierungsmöglichkeiten zu entwickeln, die Innovationsbudgets für Krankenkassen ermöglichen. Mit diesem Budget erhielten Krankenkassen Mittel und Anreize, Forschungsansätze zu fördern, die patientenorientiert, versorgungsnah, gesundheitsökonomisch und auf die Regelversorgung ausgerichtet sind.
Einsatz von Gesundheitsdaten voranbringen
Neben einer intensiven Kooperation zwischen Wissenschaft, Versorgung und Industrie, wie sie auch mit dem Forum Gesundheitsstandort etabliert wurde, zeigte sich bei der Jahresveranstaltung des Forums Gesundheitsstandort erneut, welche entscheidende Rolle Gesundheitsdaten für die künftige medizinische Versorgung spielen. Baden-Württemberg hatte sich erst kürzlich erfolgreich beim Bund für mehr Forschungsnähe bei der Nutzung solcher Daten eingesetzt. Entsprechende Forschung findet oft in Verbünden und Netzwerken statt, in denen unterschiedliche Akteure gemeinsam an einer Frage arbeiten. Dafür ist ein einfacher, unbürokratischer Zugang zu Daten enorm wichtig.
Zudem werden in einer dritten Förderrunde im Zeitraum von 2023 bis 2026 erneut drei Leuchtturmvorhaben zum praktischen Einsatz von Gesundheitsdaten finanziert. Dabei sollen bereits jetzt auf Landesebene die Weichen für die Umsetzung des geplanten Gesundheitsdatennutzungsgesetzes des Bundes sowie für den geplanten europäischen Raum für Gesundheitsdaten gestellt werden. Diese Projekte sollen mit insgesamt bis zu 24,2 Millionen Euro vom Land unterstützt werden. Ziel ist es, Modellvorhaben mit konkretem Mehrwert für die Bürgerinnen und Bürger zu entwickeln, die in die Fläche ausgerollt werden können und bundesweit und international Vorbildcharakter haben.
Das Forum Gesundheitsstandort Baden-Württemberg
Auf Initiative von Ministerpräsident Winfried Kretschmann wurde 2018 das „Forum Gesundheitsstandort Baden-Württemberg“ gegründet, um eine engere Vernetzung der Bereiche Forschung, Gesundheitsversorgung und -wirtschaft zu erreichen und Baden-Württemberg zum führenden Gesundheitsstandort zu entwickeln. Das Forum vereint aktuell mehr als 600 Expertinnen und Experten aus Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, Krankenkassen, Forschungsinstituten und Universitäten sowie Biotech-, Pharma- und Medizintechnikfirmen aus Baden-Württemberg.
Die Themen des Forums sind in drei Blöcken dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst, dem Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus und dem Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration zugeordnet. Die Gesamtkoordinierung erfolgt durch das Staatsministerium. Zudem sind themenspezifisch auch das Ministerium des Inneren, für Digitalisierung und Kommunen, das Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz sowie das Ministerium für Finanzen beteiligt. Innerhalb der Themenblöcke bringen die Akteure des Forums ihre Ideen zur Weiterentwicklung des Gesundheitsstandorts ein. Die dafür vorgesehenen Gremien stehen grundsätzlich allen Akteuren des Forums offen, um so die Anliegen aller Bereiche einbringen zu können.
Die BIOPRO Baden-Württemberg GmbH ist als Landesgesellschaft mit einer umfassenden Bündelungs-, Koordinierungs- und Geschäftsstellenfunktion für das Forum betraut. Nach wir vor besteht die Möglichkeit, Akteur beim Forum Gesundheitsstandort zu werden. Nähere Auskünfte hierzu gibt die BIOPRO unter E-Mail forum.gsbw@bio-pro.de, Telefon: 0711 218185-31.
Stimmen zur Jahresveranstaltung des Forums
„Als Gesundheitsstandort ist Baden-Württemberg spitze – dafür engagieren sich unsere exzellenten Hochschulen, Universitätsklinika und Partner aus der Gesundheitswirtschaft jeden Tag. Der Weg vom vielversprechenden Forschungsergebnis zu den Patientinnen und Patienten kann jedoch noch kürzer werden. Deshalb starten wir heute im Forum Gesundheitsstandort eine Landesstrategie zur Stärkung der medizinischen Translation, damit neue Therapien noch schneller in die Krankenversorgung gelangen. Gleichzeitig steigern wir damit die Wettbewerbsfähigkeit unserer Gesundheitsforschung und -wirtschaft.“
„Durch die Überführung von wissenschaftlichen Erkenntnissen in innovative Diagnostika und Therapieformate entstehen neue Geschäftsmöglichkeiten, die sowohl für den Wirtschaftsstandort als auch für die Patientenversorgung große Chancen mit sich bringen. Die Branche sieht sich allerdings in zunehmendem Maße mit Regulierungen konfrontiert, die mit teilweise nicht mehr bewältigbarem finanziellen und bürokratischen Aufwand einhergehen.
Unser Einsatz zeigt zwar erste Erfolge, etwa im Bereich der Datennutzung zunächst auf nationaler Ebene oder in Brüssel bei Fristverlängerungen in der Umsetzung der Verordnungen MDR und IVDR für Medizinprodukte. Doch die Herausforderungen für die Branche bleiben groß. Auch in der aktuellen Diskussion um ein Verbot der großen Stoffgruppe PFAS setzen wir uns mit Nachdruck für eine Regulierung mit Augenmaß ein.
Mit unseren erfolgreichen Initiativen im Bereich der Gründungs-Förderung von startUp BW, unseren Innovationsgutscheinen und passgenauen Instrumenten zur Frühphasenfinanzierung wie beispielsweise die Pre-Seed-Fonds trägt das Land aktiv dazu bei, die Rahmenbedingungen für unsere Unternehmen weiter zu verbessern und damit die Spitzenstellung des Gesundheitsstandortes Baden-Württemberg in der Welt weiter auszubauen.“
„Künstliche Intelligenz hat das Potenzial, das Gesundheitswesen krisenfester zu machen und den Versorgungsalltag zu erleichtern. Wir wollen daher die Rahmenbedingungen für den Transfer von Künstlicher Intelligenz in die Gesundheitsversorgung verbessern und dürfen dabei nicht müde werden, unsere Erkenntnisse und die daraus abgeleiteten Forderungen auch auf die Bundes- und EU-Ebene zu transportieren.
Präventiv und digital vor ambulant und stationär – das ist meine Vision von der Zukunft unseres Gesundheitswesens. Wenn wir das schaffen wollen, müssen wir Patientinnen und Patienten sowie das Gesundheits- und Pflegepersonal mitnehmen und ihre Bedarfe aufgreifen. Mit der Translationsstrategie schaffen wir die Grundlage für eine verbesserte Versorgung.
Ein wichtiger Hebel in der medizinischen Translation ist die Finanzierung von Innovationen. Der Innovationsfonds, der im Rahmen des Digitalgesetzes verstetigt werden soll, hat seine Wirksamkeit zur Verbesserung der Versorgung unseres Erachtens noch nicht bewiesen. Baden-Württemberg lehnt die Verstetigung zum aktuellen Zeitpunkt daher ab. Besser wäre es, einen Teil der Geldsumme des Innovationsfonds beispielsweise zur Finanzierung eines Innovationsbudgets für Krankenkassen zu nutzen.
Es gilt zu verhindern, dass Deutschland zunehmend an Attraktivität als Standort für klinische Prüfungen verliert mit potenziellen Auswirkungen auf den Pharmastandort und die Patientenversorgung mit innovativen Arzneimitteln. Im Rahmen der Translationsstrategie setzen wir uns daher für die zeitnahe Schaffung eines funktionierenden Rahmens für die klinischen Prüfungen ein, der die Arzneimittelforschung in Europa nicht gefährdet. Wir benötigen kürzere Genehmigungsverfahren und ein funktionsfähiges und nutzerfreundliches EU-Portal CTIS für klinische Prüfungen.“