Literatur

Tankred Dorst erhält Schiller-Gedächtnispreis 2010

Der aus Thüringen stammende und in München lebende Dramatiker und Schriftsteller Tankred Dorst erhält den Schiller-Gedächtnispreis 2010 des Landes Baden-Württemberg. Das Preisgeld beträgt 25.000 Euro. Die jungen Dramatiker Anne Rabe und Nis-Momme Stockmann werden mit den jeweils mit 7.500 Euro dotierten Förderpreisen ausgezeichnet.

„Tankred Dorst erhält den Preis insbesondere für sein dramatisches Werk, das im Mittelpunkt des vielfältiges Schaffens steht“, so Kunststaatssekretär Dr. Dietrich Birk als Vorsitzender der unabhängigen Jury. Deren Entscheidungsbegründung zufolge gestalte Dorst Gegenwartsthemen und -motive, nicht selten greife er aber auch auf tradierte Stoffe zurück, die er eigenständig und mit einem unerhörten kulturgeschichtlichen Wissen in die Gegenwart übertrage. So offenbare sich etwa „Merlin“ als ein großartiger dramatischer Entwurf, der wesentliche Züge der gesamten Kultur- und Menschheitsentwicklung vorstelle.

Die Jury weiter: „Dorst vermittelt Grundfragen des menschlichen In-der-Welt-Seins mit ihrer kulturhistorischen Prozesshaftigkeit – und das heißt immer auch: mit ihrer Gültigkeit für die Gegenwart. Tankred Dorst ist ein Meister der nonverbalen Mitteilung: Er arbeitet souverän mit der Sprache des Sichtbaren, der Farben, des Lichts, der Gebärden und der Mimik. Seine szenischen Konstellationen, die genau kalkulierten Auf- und Abtritte, die vielschichtigen Konfigurationen zeugen für seinen souveränen Umgang mit den theatralen Möglichkeiten.“

„Mit dem Schiller-Gedächtnis-Preis würdigt und fördert die Landesregierung die

schöpferische Arbeit zeitgenössischer Dichter und Schriftsteller“, betonte Staatssekretär Birk. „Die Förderpreise ermöglichen den beiden jungen und sehr vielversprechenden Preisträgern auch, in den Bereichen Dramaturgie und Inszenierung weitere wichtige Erfahrungen am Theater zu machen.“

Der Schiller-Gedächtnispreis, der aus einem Ehrenpreis für hervorragende deutschsprachige Autoren und zwei Fördergaben für junge Dramatiker besteht, ist der bedeutendste Literaturpreis des Landes Baden-Württemberg und einer der wichtigsten Literaturpreise in Deutschland. Die Auszeichnung wurde 1955 aus Anlass des 150. Todestages von Friedrich Schiller gestiftet und wird alle drei Jahre an verdiente deutschsprachige Literaten verliehen. Zu den bisherigen Preisträgern gehören u. a. Max Frisch, Golo Mann, Friedrich Dürrenmatt, Peter Handke, Hans Joachim Schädlich, Alexander Kluge, Christoph Hein und Botho Strauß.

Der Preis wird im November 2010 in Stuttgart verliehen.

Zu den Preisträgern:

Tankred Dorst wurde 1925 im südthüringischen Oberlind (Sonneberg) geboren. Als junger Soldat in Kriegsgefangenschaft geraten, kehrte Dorst 1947 nach Deutschland zurück. Da seine Familie enteignet und nach Westdeutschland geflohen war, konnte Dorst nicht mehr in seine Heimat zurückkehren und lebt seitdem in Bayern. Nach dem Studium der Germanistik, Kunstgeschichte und Theaterwissenschaft sammelte er an einem studentischen Marionettentheater erste praktische Erfahrungen im Stückeschreiben. Seine ersten großen Theaterstücke kamen 1960 in Lübeck (Die Kurve) und Mannheim (Gesellschaft im Herbst) auf die Bühne. Der Erfolg seiner Theaterstücke ist bis heute ungebrochen - in vier Jahrzehnten verfasste er mehr als 30 Dramen. Tankred Dorst ist einer der meist gespieltesten und vielseitigsten Dramatiker der Gegenwart. Neben seinen Dramen schrieb er auch Drehbücher und Hörspiele, verfasste Bühnenbearbeitungen und Libretti und führte Regie. Seit Mitte der 70er Jahre hat Dorst nahezu alle seine Veröffentlichungen mit seiner Frau Ursula Ehler gemeinsam herausgegeben. Auch im Ausland fand Dorst zunehmend Beachtung. Für sein umfangreiches Werk erhielt Dorst zahlreiche nationale und internationale Preise.

Anne Rabe, geboren 1986 in Wismar, studiert seit 2006 Szenisches Schreiben an der Universität der Künste Berlin Sie veröffentlichte Kurzgeschichten, Gedichte und Essays in Zeitschriften. Im März 2008 wurde ihr Stück „Das erste Stück über Martin“ an der Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin im Rahmen der „Deutschlandsaga“ zur Aufführung gebracht. Für ihr Stück „Achtzehn Einhundertneun - Lichtenhagen“ erhielt sie de Kleist-Förderpreis für junge Dramatiker der Stadt Frankfurt/Oder. Sie war Teilnehmerin des „Autorenlabors“ am Düsseldorfer Schauspielhaus in der Spielzeit 2008/2009.

Anne Rabe gehört nach Meinung der Jury zu einer im besten Sinne Schillers gesellschaftlich engagierten und wachrüttelnden Autorin, die uns mit ihren Theaterstücken zum Denken und Haltung-Beziehen zwingt. Dass sie dies gleichzeitig mit einem sehr subtilen, aber klar vorhandenen Humor und einer grundsätzlichen Liebe für die Menschen, die sie beschreibt, tut, ist ein Beweis ihres Handwerks, der Intelligenz ihres Ansatzes und ihrer Fähigkeit zur Komplexität. Ihre Sprache ist zugleich verdichtet und im besten Sinne journalistisch, die Figuren sind klar charakterisiert.

Nis-Momme Stockmann wurde 1981 in Wyk auf Föhr geboren. Er studierte Sprache und Kultur Tibets in Hamburg, Medienwissenschaften im dänischen Odense und machte eine Ausbildung zum Koch, bevor er an der Universität der Künste Berlin das Studium des Szenischen Schreiben aufnahm. 2005 gewann er beim Internationalen Filmfestival in Odense den 1. Preis für seinen Kurzfilm „Ignorans“. Mit seinem Stück „Der Mann der die Welt aß“ wurde Stockmann beim Heidelberger Stückemarkt 2009 mit dem Haupt- und Publikumspreis ausgezeichnet. Das Stück wurde am 17. Dezember 2009 in Heidelberg uraufgeführt. Es folgten Inszenierungen am Theater Magdeburg, am Theater Basel und am Schauspielhaus Wien. Außerdem erhielt der Autor den Werkauftrag des tt Stückemarkts Berlin.

Für die Spielzeit 2009/10 schrieb Stockmann unter dem Arbeitstitel „Kein Schiff wird kommen“ ein neues Stück für das Staatstheater Stuttgart, das im Februar 2010 uraufgeführt wurde. Stockmann ist außerdem seit September 2009 Stipendiat des von Thomas Jonigk geleiteten Düsseldorfer Autorenlabors. Seit Beginn der Spielzeit 2009/10 arbeitet er als Hausautor für das Schauspiel Frankfurt.

Der Jury zufolge findet Stockmann seine vermeintlich „kleinen“ Geschichten in seiner Umgebung, im familiären Umfeld, in wenig spektakulären Verhältnissen. Seine Themen scheinen wenig spektakulär: Demenz, Arbeitslosigkeit, Beziehungslosigkeit, Generationenkonflikte, Utopieverluste usw. Für diese „kleinen“ Geschichten und „Alltagsthemen“ schenkt Stockmann seinen Figuren eine Sprache, die, oberflächlich betrachtet, ebenfalls alltäglich scheint – sich auf den zweiten Blick als genauestens beobachtet und mit beeindruckendem handwerklichen Vermögen gebaut erweist. Mit und durch ihre Sprache werden die Figuren lebendig, wirklichkeitsnah und ihre Handlungen nachvollziehbar: Sie erreichen den Zuschauer direkt. Der Verzicht auf alles Unnötige, Verschlüsselte und Verkünstelte, wird zum Gewinn an Nähe, Authentizität und Wirkung. Diese erstaunlichen Qualitäten eines Autors, der gerade erst seinen Berufsweg begonnen hat und viel Zukunft verspricht, haben die Jury überzeugt, in Nis-Momme Stockmann einen würdigen Preisträger des Förderpreises 2010 des Schillerpreises zu sehen.

Quelle:

Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg